Flexible Umformtechnik
Flexible Umformprozesse ermöglichen die Anpassung und Veränderung der Produktgeometrie bei geringem Aufwand. Sie erlauben dadurch die wirtschaftliche Produktion von Prototypen und Kleinserien, ein erweitertes Geometriespektrum sowie die Herstellung von dickenoptimierten Halbzeugen. Sie bedienen also den Leichtbau und den Trend zu kürzeren Produktentwicklungszyklen sowie zunehmend individualisierten Produkten.
Die in diesem Querschnittsbereich verankerten Forschungsthemen sind unterschiedlichen Arbeitsgruppen zugeordnet und werden im Folgenden dargestellt.
Flexible Herstellung von Blechformteilen Viele Anwendungsbauteile enthalten Formelemente, die durch Abkant- oder Kragenziehoperationen gefertigt werden. Die Herstellung dieser Formelemente mittels Inkrementeller Blechumformung, kurz IBU, kann auf dem Blechbearbeitungszentrum in einfacher Weise in den Fertigungsablauf integriert und so die gesamte Prozesskette der Bauteilfertigung in derselben Einspannung durchgeführt werden. Die Vorteile dieser Prozessintegration werden beispielhaft anhand eines an die Wartungsklappe des Airbus A320 angelehnten Bauteils demonstriert. Zunächst wird durch das Streckziehen die gekrümmte Vorform der Zielgeometrie innerhalb kürzester Zeit angelegt. Dann formt bei der IBU ein halbkugelförmiger Umformkopf schrittweise die übrigen Bereiche des Bauteils aus. Nach dem Beschnitt werden abschließend die hohen Prozessgrenzen der IBU ausgenutzt, um die Flansch- und Kragenelemente aufzustellen. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Lisa-Marie Reitmaier. Bild: Fertigung Wartungsklappe Airbus A320 überlagert mit Darstellung der Geometriegenauigkeit, Bildrechte: IBF |
Selbsttragende Freiformfassaden In der Architektur benötigen aufwendige Fassaden oder Dächer mit außergewöhnlichem Design meist massive Unterkonstruktionen. Eine ressourcenschonende Alternative zur Realisierung komplex geformter Freiformstrukturen wurde in einem Projekt des Lehrstuhls für Tragkonstruktionen und dem Institut für Bildsame Formgebung entwickelt: Durch gezielte Tesselierung und Faltung werden Feinbleche zu einem leistungsfähigen, selbsttragenden Fassadensystem befähigt, das keine Unterkonstruktionen benötigt. Die Abbildung individualisierter Formen bedarf dabei einer Vielzahl von Einzelteilen und erfordert flexible Fertigungsverfahren. Die Inkrementelle Blechumformung ermöglicht die wirtschaftliche Herstellung dieser Fassadenkonzepte. Die gezeigte Fassade besteht aus 140 individuellen Pyramiden und 234 individuellen Dreiecken aus Edelstahl. Mit einer Gewichtsreduktion von 48 % im Vergleich zu konventionellen Bauweisen eröffnet das hohe Leichtbaupotenzial neue Möglichkeiten für moderne Fassadenstrukturen. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Lisa-Marie Reitmaier. Bild: Freiformstruktur bestehend aus individuellen Pyramiden und Dreiecken, Bildrechte: Sebastian Helms |
Herstellung der Karosserie eines 1964er Shelby Daytona Cobra Coupés Im historischen Rennsport war der 1964er Shelby Daytona Cobra Coupé trotz vieler Erfolge seit Jahrzenten nicht mehr zu sehen. Vom Original existierten seinerzeit nur sechs Stück. Den Traum, diese Legende zurück auf die Rennstrecke zu bringen, wollte die Firma American Muscle Motorsports & Services Wirklichkeit werden lassen. Mit Hilfe der Prozesskombination aus Streckziehen und Inkrementeller Blechumformung konnte das Institut für Bildsame Formgebung, kurz IBF, eine flexible und kostengünstige Fertigungstechnologie zur Herstellung der Karosserie des Shelby anbieten. Durch die am IBF entwickelte digitale Prozesskette konnte die Planung und Prozessauslegung gegenüber einer manuellen Fertigung erheblich beschleunigt werden. Die anschließende Herstellung fand im Flexiblen Blechbearbeitungszentrum des IBF statt, sodass die Karosserie nach wenigen Wochen an den Auftraggeber übergeben werden konnte. Somit wird der Shelby schon bald wieder in den historischen Rennsport zurückkehren. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Lisa-Marie Reitmaier. Bild: Karosserie eines 1964er Shelby Daytona Cobra Coupés, Bildrechte: American Muscle Motorsports & Services |
Integrierte CAx-Prozesskette In der Prototypen- und Kleinserienfertigung sind konventionelle Fertigungsverfahren, wie das Tiefziehen, meist nicht wirtschaftlich einsetzbar. Flexible Verfahren mit geringem Werkzeugaufwand, wie das Streckziehen und die Inkrementelle Blechumformung, kurz IBU, sind eine vielversprechende Alternative, um Bauteile innerhalb kürzester Zeit zu realisieren. Mit dem Ziel „first time right“ sollen zusätzlich Ressourcen geschont werden. Dazu sind verlässliche und präzise Planungstools und Modelle notwendig. Die am IBF entwickelte integrierte CAx-Prozesskette ermöglicht die Planung der Fertigung in einer CAD-CAM-Umgebung mit entsprechenden Schnittstellen zu FE-Modellen und Bildkorrelationstools. Numerische Simulationen des Streckziehens oder der IBU liefern digitale Geometrien, die mit der Zielgeometrie abgeglichen werden können. Iterationsschleifen können bei der Prototypenfertigung so virtuell durchgeführt und material- sowie zeitintensive Versuchsreihen vermieden werden. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Thomas Bremen. Bild: Bauteilfertigung mittels integrierter CAx-Prozesskette, Bildrechte: Ahrens+Steinbach Projekte |
Erweiterung des Formenspektrums im Freiformschmieden Das Freiformschmieden ist ein inkrementelles Massivumformverfahren, welches in erster Linie zur Herstellung langer und gerader Bauteile mit einer simplen Querschnittsgeometrie, wie rund oder quadratisch, genutzt wird. Die Herstellung komplexer Bauteile durch Freiformschmieden erfordert zusätzliche Verfahrensschritte oder kann nur durch einen großen Aufwand an zerspanender Fertigung realisiert werden. Ein neuer Verfahrensansatz ermöglicht die Fertigung komplexer Geometrien durch überlagerte Manipulatorbewegungen während des Schmiedehubs. Durch den plastischen Spannungszustand reichen bereits geringe Kräfte aus, um den Materialfluss hin zur beabsichtigten Zielgeometrie lenken zu können. So wurde dieses Verfahren erfolgreich zur Herstellung gekrümmter sowie tordierter Bauteile aus Stahl und Aluminium auf der Freiformschmiedeanlage des IBF realisiert. Dieser Verfahrensansatz ermöglicht unter Nutzung vorhandener Anlagentechnik eine erhebliche Erweiterung des Geometriespektrums im Freiformschmieden. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Niklas Reinisch. Bild: Biegeschmieden durch Überlagerung von Pressen- und Manipulatorbewegung, Bildrechte: IBF |
Flexibles radiales Ringwalzen zur Herstellung nicht-axialsymmetrischer nahtloser Ringe Möglichst endkonturnahes Ringwalzen zur Minimierung des Material- und Zerspanungsaufwands hat heute eine erhebliche wirtschaftliche und ökologische Bedeutung. Industriell erzielbare endkonturnahe Ringgeometrien sind bisher ausschließlich rotationssymmetrisch, obwohl auch Anwendungen mit einer in Umfangsrichtung variierenden Volumenverteilung existieren, z.B. exzentrische Ringe mit einem annährend linearen Wanddickenprofil. Diese Bauteile werden bisher je nach Bauteilgröße durch Zerspanung, Gesenkschmieden oder Gießverfahren hergestellt, wobei Nachteile bezüglich Materialaufwand, Prozessflexibilität oder mechanische Eigenschaften hingenommen werden müssen. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Mirko Gröper. Bild: Flexibles radiales Ringwalzen, Bildrechte: IBF |
Flexibles Walzen Der Prozess des flexiblen Walzens ermöglicht die Herstellung von Metallbändern mit variabler Dicke in Längsrichtung. Mit Hilfe solcher Halbzeuge lassen sich Bauteile mit an die Lastsituation angepasster Wandstärke herstellen. Im Vergleich zu konventionellen Bauteilen können somit Gewicht und Ressourcen eingespart werden. Während des Walzprozesses wird dabei der Walzspalt entlang berechneter Verfahrwege angestellt, die im gewünschten Dickenprofil resultieren. Ausgehend von grundlegenden Arbeiten zum Entwurf einer geeigneten Prozesssteuerung ist das flexible Walzen mittlerweile bei der Firma Mubea in der großtechnischen Anwendung. Eine breite Vielfalt von Dickenprofilen und Werkstoffen wird dort für verschiedenste Anwendungen etwa im Automobilbereich produziert. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Dorothea Czempas. Bild: Walzgerüst für das flexible Walzen, Bildrechte: IBF |
Bandprofilwalzen Das Bandprofilwalzen stellt einen modifizierten Walzprozess dar, mit dem sich eine Dickenverteilung in Querrichtung in das Material einbringen lässt. Solche Halbzeuge bieten die Möglichkeit zur Gewichtseinsparung und zur Erhöhung der Materialausbringung. Um eine variierende Banddicke quer zur Walzrichtung zu erzeugen, ist der Einsatz schmaler Walzen auf einem Bandprofilwalzwerk notwendig. Schmale Walzen führen den Materialfluss anders als beim klassischen Flachwalzen in Breitenrichtung und verhindern damit eine Wellenbildung trotz einer über die Bandbreite inhomogenen Höhenabnahme. Ein breiterer Bereich mit reduzierter Dicke lässt sich durch einen mehrstufigen Prozess erzielen. Neben der Untersuchung von Prozessgrenzen ist die Kombination von Bandprofilwalzen und flexiblem Walzen untersucht worden. Durch diese Kombination lassen sich Halbzeuge mit variierender Dicke in Längs- und Querrichtung herstellen. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Aron Ringel. Bild: Anlage zum Bandprofilwalzen und hergestelltes Band, Bildrechte: IBF |